Freitag, 12. Februar 2010

Howl

© Alive/ Regie: Rob Epstein, Jeffrey Friedman
Mein erster Film auf der 60. Berlinale. Was das jetzt genau bedeutet, dass die Berlinale 60 Jahre alt wird, habe ich noch immer nicht ganz verstanden – aber das ist ja für den Filmgenuss zum Glück recht nebensächlich.

Gleich ein Wettbewerbsfilm. Super. „An international premiere“ – erzählt mir die Tante im Abendkleid, die stümperhaft aber immerhin in passablem Englisch die Veranstaltung anmoderiert. „An international premiere“ ist übrigens der Euphemismus für „Film, der schon in seinem eigenen Land gezeigt wurde und nun auf dem europäischen Mark gestestet wird“. Der durchschnittliche Zuschauer weiß das aber natürlich nicht und wähnt sich in Gegenwart eines historisch wichtigen Moments: nicht nur der sagenumwobene Geburtstag der Berlinale, nein, auch noch eine Premiere! Eine Premiere!

Was ich an der Präsentation der Wettbewerbsfilme grundsätzlich nicht verstehe, ist, warum ausgerechnet zu diesen in der Öffentlichkeit stehenden Anlässen gänzlich unfähige und lediglich attraktive B-Promi-Moderatorinnen engagiert werden. Bei einem Film der Panorama-Sektion beispielsweise ist der Moderator stets über den Film informiert. Er kann thematisch relevante Fragen an das Filmteam stellen und eine Publikumsdiskussion leiten. Das Wettbewerbsnummerngirl bringt nur ein Uri-Geller-„the stage is yours“ raus und schneidet dann dem zweiten Regisseur das Wort ab. Schnell wird noch hektisch – offensichtlich ist es dem Veranstalter zu spät aufgefallen – ein Blumenstrauß an die Produzentin überreicht, dann werden alle freundlich aber direkt von der Bühne geschoben. Dreimal betont die Moderatorin im Abendkleid, dass es sich hier um „Academy-Award-Winning-Directors“ handelt – aber für was die ihre Oscars bekommen haben, entzieht sich ihrer Kenntnis. Gut, ich bin ja nicht wegen ihr hier.

Der Hauptdarsteller steht schüchtern neben dem Filmteam und ich muss realisieren, dass er die Rolle des sexuell verunsicherten, latent autistisch verklemmten Dichters nicht genial spielt, sondern tatsächlich einen Stock im Arsch hat. Sehr desillusionierend. Vielleicht darf er deshalb selbst nichts zu dem Film sagen, sondern verlässt wort- und quasi gesichtsregungslos wieder die Bühne.

Aber nun endlich zum Film. Der Film war toll. Ehrlich! Und ideal für solche, die sich schon immer mit der Frage „Was will uns der Dichter eigentlich damit sagen?“ gequält haben. Denn im dargestellten Gerichtsprozess über die Daseinsberechtigung des Gedichtes „Howl“ wird erklärt: „Man kann Lyrik nicht in Prosa übersetzen. Deshalb ist es ja Lyrik.“ Daher ist die Frage nach der Aussage von vorneherein obsolet, denk ich mir, und hätte jetzt gerne meinen Literaturprofessor neben mir, der mich in der Prüfung zu moderner US-amerikanischer Lyrik so in die Pfanne gehauen hat.

Was mich wirklich verstörte, war die Tatsache, dass es diese Gerichtsverhandlung über das Gedicht „Howl“ von Allen Ginsberg wirklich gegeben hat! Im Land der Freiheit und Demokratie wird darüber vor Gericht verhandelt, ob eine bestimmte Wortwahl zum Ausdruck eines bestimmten Gedankens wirklich notwendig ist. Mit der Taktik werden die USA nie zum Land der Dichter und Denker aufsteigen. Aber Stopp. Mir fällt da ein deutsches „Kulturgut“ ein, das selbst ich ursprünglich dafür kritisiert hatte, nur aus brutal ausgekotzten, widerwärtigen Obszönitäten zu bestehen: „Feuchtgebiete“. In „Howl“ wird gesagt, der Autor verwendet das Vokabular, das in seiner Welt verwendet wird, das zu seinen Protagonisten passt. Nein, davon gibt es keine „light-Version“. Denn die Sprache an sich, die Wortwahl, IST „Howl“, ist der Schrei. Marianne Moore war vermutlich schockiert. Ihre große Schaffensperiode war zwar bereits vorbei, jedoch war sie noch immer mit der Revision ihres Schützlings Elizabeth Bishop beschäftigt, aus deren Werken sie Wörter wie „water closet“ aus Sittlichkeitsgründen strich. Und unsereiner ist nicht viel besser, wenn er sich über Charlotte Roche empört und der Meinung ist, man könnte auch ganz liebevolle Wörter dafür finden, um zu beschreiben, wie sich jemand vor dem Analsex einen Duschkopf in den Hintern einführt.

Meine Kritik setzt deshalb an einem ganz anderen Punkt an. Im Gegensatz zu „Standard Operating Procedure“, dessen pseudo-dokumentarischer Anspruch mich auf der Berlinale 2008 in den Wahnsinn getrieben hatte, stellt sich „Howl“ wenigstens als Fiktion dar. Es ist mir jedoch völlig schleierhaft, wieso keine originalen Tonaufnahmen verwendet werden. Es gibt verschiedene Episoden, die sich immer wieder abwechseln und sich auch durch den Stil unterscheiden: die Gerichtsverhandlung in Spielfilmästhetik, eine animierte, psychedelische Animation des Gedichtes, eine Lesung in pseudo-Originalmaterial-Manier, schwarz-weiß Rückblicke und ein erzwungen auf realistisch getrimmtes Interview, das mit Tonband aufgezeichnet wird. Wieso zum Teufel, wenn es doch eine solche Tonaufnahme gibt, wird diese nicht als Voice-Over eingespielt? Wieso ist im gesamten Film, zumindest nicht für mich merklich, NIE Ginsbergs echte Stimme zu hören? Die Beat Generation und Ginsbergs Lyrik leben vom performativen Element, vom lebhaften Vortrag. Warum hört man dann nicht Ginsbergs Stimme? Nun gut, da ja dem Hauptdarsteller keine Möglichkeit gegeben wurde, selbst Stellung zu seinem Film zu beziehen, kann ich nicht mit Sicherheit behaupten, es sei SEINE Stimme im Film. Ich gehe dennoch stark davon aus.

Unterm Strich trotz allem sehr sehenswert. Schöner Auftakt. Ich bin zufrieden.

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