Montag, 26. März 2012

My Week With Marilyn


© Ascot Elite/ Regie: Simon Curtis
Mit dem Oscar hat es nicht geklappt, doch Michelle Williams zeigt in My Week With Marilyn ohne Frage eine einnehmende Performance. Dabei steht sie gar nicht im Mittelpunkt der Geschichte, die sich im Grunde um den jungen Regieassistenten Colin Clark (Eddie Redmayne) dreht, der am Filmset von „Der Prinz und die Tänzerin“ die Ikone Marilyn Monroe kennenlernt und trotz Warnungen all seiner Kollegen, ihrem Charme verfällt. Marilyn selbst ist in diesem Film nicht die überlegene Diva, sondern ein von Unsicherheit und Einsamkeit geplagtes Mädchen, das in dem jungen Colin vorübergehend einen tröstenden Begleiter findet. 

Michelle Williams gelingt es, ein Kaleidoskop der Gefühle auf die Leinwand zu bannen. Dabei ist es gar nicht so sehr die Vielzahl an verschiedenen, manchmal gar widersprüchlichen Emotionen, sondern die Komplexität der gezeigten Gefühlslagen, die begeistert. In ihrem Gesicht spiegelt sich nicht nur der Spaß am Rampenlicht, sondern gleichzeitig auch Stress, Angst und Einsamkeit. Michelle Williams spielt nicht einfach nur Marilyn Monroe. Sie spielt Norma Jeane Mortenson wie sie Marilyn Monroe spielt. Wäre alles an My Week With Marylin so überzeugend wie die Leistung von Michelle Williams, wäre ein filmisches Meisterwerk geboren. Doch so ist es leider nicht.

Obwohl die Figur der Marilyn Monroe insgesamt gelungen in Szene gesetzt wird – Musik, Close-Ups, Zeitlupen und Standbilder inszenieren sie gekonnt als Ikone ihrer Zeit – verschenkt die Dramaturgie an zu vielen Stellen die Chance, diesem Konzept ausreichend Spannung zu verleihen. So ist es in meinen Augen ein großer Fehler, Marilyn gleich zu Beginn des Films zu zeigen, statt den Zuschauer mit den Protagonisten ihrem Auftritt entgegenfiebern zu lassen. Auch der Rest der Story ist spannungsarm und erinnert in seiner Bandbreite eher an ein Fernsehspiel als an einen Kinofilm. 

Colin Clark ist als Hauptfigur gut gewählt. Im Grunde handelt es sich um eine Coming of Age Story, in der ein junger Mann sich selbst auf beruflicher und privater Ebene findet. Durch seine Jugendlichkeit und die damit verbundenen Sehnsüchte und Unsicherheiten, bildet er eine gute Identifikationsfläche für den Zuschauer. Während Colins Geschichte den Zuschauer überzeugen kann, ist Marilyn Monroes Biographie mit Melodramatik und Pathos überladen. Auf der einen Seite wird sie trotz dargestellter Schwachstellen als geradezu gottgleiche Ikone erschaffen. Gleichzeitig wird es beim Blick in ihre Kindheit schnell melodramatisch. Wenn Regisseur Simon Curtis sie mit einem Puppenhaus spielen lässt, um ihre Sehnsucht nach Familie und Heimat zu demonstrieren, schießt er eindeutig über das Ziel hinaus. 

Die Marilyn Monroe, die wir in diesem Film zu sehen bekommen, überrascht uns durch ihre Verletzlichkeit. Insbesondere auf dem Filmset wirkt ihre Darstellung irritierend. Ist sie wirklich so unsicher oder spielt sie das kleine Mädchen, um Aufmerksamkeit und eine Sonderstellung zu erreichen? Es ist nur Michelle Williams‘ verlässlicher Schauspielleistung zu verdanken, dass es dem Film in diesen Sequenzen gelingt, Marilyn Monroe trotz dieses ungewohnten Verhaltens Glaubwürdigkeit zu verleihen. Der Zuschauer wird somit in dieselbe Position versetzt wie die Filmcrew auf der Leinwand. Sowohl on-screen Regisseur Sir Laurence Olivier (Kenneth Branagh) als auch das Publikum im Kinosaal sind zugleich genervt, verzaubert und irritiert durch das exzentrische Verhalten der Filmdiva. 
 
Aber nicht nur Michelle Williams, auch der restliche Cast kann überzeugen. Insbesondere Judy Dench begeistert einmal mehr mit ihrem Charisma. Emma Watson ist zwar im 50er Jahre Kostüm nett anzusehen, doch ihre Rolle erlaubt es ihr nicht, sich vom Harry Potter Image zu befreien und als ernstzunehmende Schauspielerin zu etablieren. Eddie Redmaynes überzeugende Leistung droht neben der starken Präsenz der weiblichen Hauptfigur unterzugehen, soll aber hier nicht unerwähnt bleiben. 

My Week With Marilyn kann insgesamt leider nicht mit seiner Hauptdarstellerin Schritt halten. So bleibt Michelle Williams in meinen Augen leider auch der einzige Grund, sich diesen Film anzusehen. 



Dienstag, 20. März 2012

Die Tribute von Panem


© Studiocanal/ Regie: Gary Ross
Wenige Filme werden dieses Jahr so stark herbeigesehnt wie Die Tribute von Panem. Das Erfolgskonzept, eine Buchreihe mit jugendlicher Leserschaft als Franchise auf die Leinwand zu bringen, scheint einmal mehr aufzugehen. Und obwohl die Hardcore-Fans der Romanreihe von Suzanne Collins beim Thema Twilight Aggressionen entwickeln, sind die Parallelen der beiden Konzepte doch nicht vollkommen von der Hand zu weisen.

Auch in Die Tribute von Panem steht ein junges Mädchen im Mittelpunkt. Es ist Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence), die in einer Welt der Zukunft im ärmsten der zwölf Distrikte von Panem lebt. Wie jedes Jahr werden durch die herrschende Klasse die sogenannten Hunger-Spiele inszeniert, ein Fernsehspektakel, bei dem aus jedem Bezirk ein Mädchen und ein Junge ausgewählt werden, um in einem Kampf um Leben und Tod gegen die Vertreter der anderen Regionen anzutreten. Nur der Teilnehmer, der alle seine 23 Kontrahenten - den Mitspieler aus dem eigenen Distrikt mit inbegriffen - überlebt, kann als Gewinner hervorgehen. Um das Leben ihrer kleinen Schwester zu schützen, tritt Katniss freiwillig an und wird gemeinsam mit ihrem Distrikt-Kollegen Peeta (Josh Hutcherson) und den Kontrahenten aus den anderen elf Bezirken für den Wettkampf ausgebildet. Dabei geht es nicht nur um ein Überlebenstraining. Vielmehr muss sich das Mädchen mehr und mehr die Frage stellen, wie weit es für sein eigenes Wohl zu gehen bereit ist. 

Im Grunde ist Die Tribute von Panem eine klassische Coming of Age Geschichte, denn Katniss, die als Einzelkämpferin in die Geschichte eingeführt wird, wächst im Laufe des Films über sich hinaus. Sie entwickelt ein Verantwortungsbewusstsein für andere Menschen und die Gesellschaft, in der sie lebt. Kaum ausdifferenziert wird diese Moral schon durch die Hunger-Spiele auf eine harte Probe gestellt. Auch Peeta, der zunächst nicht an die Möglichkeit eines Sieges glaubt, muss lernen, sich selbst zu vertrauen und seine individuellen Stärken zu nutzen. Es geht ums Erwachsenwerden. Nicht umsonst sind alle Tribute, wie die Teilnehmer an dem Wettkampf genannt werden, im pubertären Alter zwischen 12 und 18 Jahren. Hiermit ist wohl auch die Altersspanne der wichtigsten Zielgruppe benannt.

Das Franchise transzendiert sich selbst
Überhaupt gibt es erstaunlich viele Parallelen zwischen der Inszenierung des Medienspektakels im Film und der Vermarktung des Franchise an sich. Schon während der letzten Monate ist Die Tribute von Panem durch seine großangelegten Werbestrategien aufgefallen. Niemandem, der sich für das Medium Film interessiert, war es möglich, die Verfilmung nicht wahrzunehmen. Es wurde sogar eine Nagellackreihe zum Film eingeführt:  Zwölf Farben, die die verschiedenen Distrikte repräsentieren. Wie die herrschende Klasse im Film, die sich einen Spaß daraus macht, für ihre Favoriten „Farbe zu bekennen“, können auch die Fans in unserer Welt ihre Verbundenheit mit den Charakteren auf rein äußerlicher Ebene demonstrieren. Der Film transzendiert sich selbst, indem er seine eigenen Strategien auf die Hunger-Spiele überträgt und sie somit ad absurdum führt. Besonders eindrucksvoll gelingt dies durch die Einführung der Lovestory zwischen Katniss und Peeta. Um Proteste in Reaktion auf die laufenden Spiele zu verhindern, beschließen die Veranstalter auf der Handlungsebene, sich die aufkeimende Liebe zwischen Katniss und Peeta zu Nutze zu machen, um das Publikum wieder für sich zu gewinnen. Damit fahren sie dieselbe Strategie wie die Produktionsfirma des Films und letzten Endes auch Collins selbst, die die Teenager-Lovestory als Publikumsmagneten zu nutzen wissen. Der Medienrummel, der um die Verfilmung der berühmten Buchreihe veranstaltet wird, steht der überdrehten Inszenierung der Hunger-Spiele auf der Leinwand in nichts nach. Ob diese Transzendierung ein bewusster Prozess ist, vermag ich allerdings nicht zubeurteilen.

Aber Die Tribute von Panem will definitiv mehr, als nur eine Coming of Age oder Lovestory zu erzählen. Hier wird eine mögliche Gesellschaft der Zukunft präsentiert, die weit entfernt von absurd ist. Wie auch heutzutage ersetzt das angeblich dokumentarische Fernsehen die Realität. Wenn Katniss im Wald durch eine Astloch-Kamera beobachtet wird, erblassen unsere privaten Sendeanstalten vor Neid auf diese fortgeschrittene Reality-TV-Technik. Überhaupt sind die Hunger-Spiele in meinen Augen nur eine konsequente Fortführung dessen, was wir schon jetzt im Privatfernsehen präsentiert bekommen. 

Die mediale Berichterstattung ist ein Machtinstrument, nicht nur in Panem, wo sie die Kontrolle der herrschenden Klasse gegenüber den unterprivilegierten Distrikten demonstrieren soll. Auch in unserer Welt nehmen wir die Realität durch den wohlkonstruierten Filter der Medien war und merken es oft nicht einmal. Wir sind manipulierbar. Auch unsere Gier nach dem angeblich Authentischen kann den einen oder anderen Menschen unserer heutigen Gesellschaft dazu verleiten, einem Programm wie den Hunger-Spielen beizuwohnen. Und authentisch ist interessanter Weise – und auch das lehren uns RTL2 und Konsorten – was über die Maßen dramatisch, brutal oder sexy ist.

Emanzipation in der Teeny-Lovestory
Während der erwachsene Zuschauer sich dem politischen Subtext widmen kann,  konzentriert sich der jugendliche Zuschauer, insbesondere der weibliche, auf die zarte Liebesgeschichte, die hier zwar deutlich weniger im Zentrum steht als bei Twilight, dennoch aber eine tragende Rolle spielt. Wie auch in der Vampirromanze sieht sich die weibliche Hauptfigur mit zwei unterschiedlichen Männertypen konfrontiert. Da ist der taffe Gale (Liam Hemsworth), der wie Katniss in den Wäldern zu Hause ist und Pläne für den Umsturz des Systems hegt und daneben der eher zart besaitete Peeta (Josh Hutcherson), der in den ersten zwanzig Minuten Screentime stets so aussieht, als würde er sich gleich in die nächste Ecke zum Heulen zurückziehen. Für mich sind das Parallelfiguren zum tatkräftigen und impulsiven Werwolf Jacob und dem gefühlsduseligen Vampir Edward. 

Der große Unterschied besteht hier jedoch in der Frau, die sich zwischen den zwei verschiedenen Männer- oder vielmehr Jungentypen entscheiden muss. Im Gegensatz zu Bella, die in allen Teilen der Twilight-Saga durch die männlichen Charaktere wie ein Spielball durch die Handlung getrieben wird, hat Katniss alle Fäden selbst in der Hand. Wir lernen sie als ein Mädchen kennen, dass in ihrem Elternhaus die Rolle des Vaters, des Ernährers übernommen hat. Sie ist so überaus mutig und tapfer, dass sie sich freiwillig für die Hunger-Spiele anmeldet, um das Leben ihrer Schwester zu bewahren. Besonders deutlich tritt ihr Grad an Emanzipation aber im Vergleich mit Peeta zu Tage, der selbst mut- und zuweilen auch hilflos ist. Sie ist diejenige, die ihn beschützt. An einer Stelle wird sogar die klassische Mann-Frau-Rollenverteilung aufgebrochen und während Katniss das Abendessen jagt, geht Peeta Beeren sammeln – und nicht mal das macht er vernünftig. Nachdem weiblichen Teenagern in den letzten Jahren durch Twilight vorgegaukelt wurde, dass es ein legitimer Lebenszweck sei, für das Leben als Mutter eines untoten Kleinkindes auf die Collegeausbildung  zu verzichten, stellt Die Tribute von Panem endlich einen Aufruf zur Emanzipation für die Altersgruppe zwischen 12 und 18 dar. Nein, liebe Mädchen, es reicht nicht, sich für die Liebe zu einem blassen Schönling aufzugeben. Selbst ist die Frau! Kauft euch endlich einen Flitzebogen und jagt eure eigenen Eichhörnchen. Ein kleiner Schritt für Katniss Everdeen – ein großer Schritt für die Teenagerinnen des 21. Jahrhunderts.

Fazit – Kritik – Ich komm zum Punkt
Über die Themenkomplexe Medien, Machtstrukturen und Geschlechterkonstruktionen könnte ich jeweils einen eigenen Artikel schreiben. Nicht zuletzt aber dient diese Seite ja auch der Kritik, weshalb ich noch eine kurze Gesamtbeurteilung nachreichen will.

Ohne das Buch gelesen zu haben, ist Die Tribute von Panem ein unterhaltsamer Science Fiction Film mit gelungenen Charakteren, die den Zuschauer für sich einnehmen. Katniss‘ Entwicklung kann fesseln, ihr moralisches Dilemma, das sich im Laufe der Hunger-Spiele zuspitzt, wird für das Publikum erfahrbar. Als starke Frauenfigur bildet sie sowohl für männliche, wie auch für weibliche Teenager eine Identifikationsfigur. Die schon angesprochenen Themenkomplexe und Subtexte machen Die Tribute von Panem auch für ein erwachsenes Publikum interessant. 

In meinen Augen hat der Film nur ein ernsthaftes Problem. Mit dem Beginn der Hunger-Spiele verlagert sich der Schauplatz vom optisch interessanteren Setting der futuristischen Hauptstadt in den Wald. Bis hierhin sorgen gelungene Kulissen und Kostüme für Begeisterung. Wir können uns an den bunten Farben und abgefahrenen Designs kaum sattsehen. Dazu sorgt die faschistoide Inszenierung der Welt des Kapitols in unseren Köpfen für fortwährende Assoziationen und Überlegungen. Kurzum: Selbst ohne Handlung wäre unser Interesse ausreichend geweckt, um am Ball zu bleiben. Mit der Verlagerung der Geschichte in den Wald, wird die Aufmerksamkeit der Zuschauer jedoch auf eine harte Probe gestellt. Im Gegensatz zu der allein auf Grund ihrer Exotik interessanten Hauptstadt ist der Wald eben nur ein Wald. Daran ändern auch kleinere Special Effects wie Killerbienen und Monsterhunde kaum etwas. Die Dramaturgie schafft es geradeso die Spannung trotz des Bruchs im Setting einigermaßen aufrecht zu erhalten. Doch insgesamt sackt die Qualität des Films nach seinem steilen Start auf halber Strecke in den Sinkflug ab. 

Dass mich Die Tribute von Panem so gut unterhalten hat,  liegt vor allem daran, dass die Geschichte so viele Anknüpfungspunkte für weitere Überlegungen bietet. Der Film birgt neben seinem Entertainment-Faktor auch eine Relevanz für die heutige Zeit und fordert uns dazu auf, den Zusammenhang zwischen Macht und Medien zu durchdenken sowie unser kommerzielles Zeitalter in Frage zu stellen. Auch der Liebesgeschichte konnte ich mich – wie schon bei Twilight - nicht vollkommen entziehen: Ein bisschen Teenager-Liebe ist eben nie verkehrt. Ein filmisches Meisterwerk liegt auf Grund der dramaturgischen Schwachstellen hier jedoch nicht vor. 



Mittwoch, 7. März 2012

The Grey


© Universum Film/ Regie: Joe Carnahan
Zu diesem Survival-Thriller mit Schauspiellegende Liam Neeson in der Hauptrolle fallen mir lauter vollkommen unpassende Phrasen ein. „Männer allein im Wald“ ist einer davon. Im Grunde ist das dann aber doch zutreffend: Gemeinsam mit seinen Kollegen von der Ölraffinerie im entlegenen Norden Alaskas stürzt Liam Neeson alias John Ottway mit dem Flugzeug ab. Die Männer, bis auf Ottway hauptsächlich Ex-Knackis und vergleichbar harte Kerle, finden sich in einer lebensfeindlichen Schneewüste wider. Viel schlimmer aber als Kälte und Nahrungsknappheit, ist das Wolfsrudel, das sich durch die Anwesenheit der Menschen bedrängt fühlt und zum Angriff übergeht. John Ottway, seines Zeichens Wildnisexperte und Scharfschütze, wird schnell selbst zum Leitwolf der Gruppe und führt sein Rudel in bewaldetes Gebiet, um Schutz vor den vierbeinigen Gegnern zu finden.

Liam Neeson ist Dreh und Angelpunkt von The Grey. Nicht nur, dass er mit Abstand das bekannteste Gesicht des gesamten Casts vorweisen kann, seine Figur steht auch im Zentrum der Story. Dementsprechend komplex ist sie gestaltet. John Ottway wird nicht nur als mutiger Leithammel mit einem fast verbissenen Überlebenswillen charakterisiert, sondern auch als emotional gebeutelter Mann, hinter dessen harter Schale sich ein verletzlicher Kern verbirgt. Die restlichen Figuren bekommen ein wenig Tiefe und Menschlichkeit verliehen, wenn ein jeder davon zu sprechen beginnt, wer daheim nun vergeblich auf ihn wartet. Regisseur und Drehbuchautor Joe Carnahan wirft hier nicht alle in einen Topf, sondern erschafft individuelle, wenn auch leicht stereotypisierte Charaktere, die er seiner Hauptfigur zur Seite stellt. Der Macho-Haudrauf, dessen Unfähigkeit, die eigene Angst einzugestehen, die Sicherheit der Gruppe gefährdet, ist genauso Teil der Crew wie der Tiefsinnige, der auf Grund der Lage beginnt, sich Fragen über die Existenz Gottes zu stellen und seine verstorbenen Kollegen mit einem Gebet zur Ruhe bettet. 

Obwohl die gesamte, fast zwei Stunden lange Geschichte nur daraus besteht, dass sich eine Gruppe eingemummter Figuren durch Eis, Schnee und Wälder schlägt, wird The Grey an keiner Stelle langweilig. Die Omnipräsenz der Wölfe, die oft nur durch Geräusche oder glühende Augen angedeutet wird, versetzt uns als Zuschauer ebenso in permanente Anspannung wie die Menschen auf der Leinwand. Um die Tiere glaubwürdig zu inszenieren, wurden sowohl echte Tiere, als auch Modelle und CGI verwendet. Im Großen und Ganzen gelingt es Carnahan damit, uns die Illusion eines echten Wolfsangriffs zu verkaufen, an einigen Stellen aber fühle ich mich dann doch an Gmork aus Die unendliche Geschichte erinnert, der mich schon als kleines Kind Mitte der 80er auf Grund seiner offensichtlichen Künstlichkeit die Augenbrauen hochziehen ließ. Diese kurzen Momente der Irritation in Anbetracht der Wölfe zerbrechen vielleicht für eine Sekunde die Illusion, der Spannung des Films jedoch kann dieses sehr kleine Mängel nichts anhaben.

The Grey macht in meinen Augen nur einen nennenswerten Fehler. John Ottway ist wirklich der Inbegriff des Helden, der neben Kraft und Ausdauer auch Verantwortungsgefühl, Empathie und Leitungskompetenz an den Tag legt. Zum klassischen Helden, z.B. im Western, gehört aber auch eine Wortkargheit, die wir oft als genuin männlich empfinden. Dass Frauen immer quatschen während Männer schweigen, ist zwar ein Klischee, aber eines, das gerne zur Konstruktion von Figuren in Genre-Filmen verwendet wird. Mir scheint, die Männer in The Grey hätte besser daran getan, diesem Klischee treu zu bleiben, denn immer wenn sie sich miteinander austauschen oder John Ottways Stimme als Voice Over ertönt, droht der Film mit der sonst knallharten Atmosphäre in einen gefühlsduseligen Pathos abzugleiten, der nicht so ganz zum Rest des Konzepts passen will.

Davon aber abgesehen ist The Grey ein spannendes Kinoerlebnis, dessen Schneelandschaften auf der großen Leinwand eine beeindruckende Wirkung erzielen. Damit will ich sagen, dass dies ein Film ist, den es sich im Kino anzusehen lohnt, statt auf eine DVD zu warten. Starke Nerven – wenn auch nicht ganz so starke wie die von John Ottway – sollte man aber mitbringen! 



Türkisch für Anfänger


© Constantin Film/ Regie: Bora Dagtekin
Nach der Pressevorführung zu Türkisch für Anfänger sitze ich in der Berliner U-Bahn und beobachte eine türkische Familie. Insbesondere der jüngste Spross erwidert mein Interesse, zeigt unentwegt auf mich und redet wie ein Wasserfall in einer für mich vollkommen unverständlichen Sprache. Die Kopftuch tragende Mutter schaut mich besorgt an, ich beruhige sie mit einem Lächeln, dass mir die Aufmerksamkeit des Kleinen nicht unangenehm sei. Offenbar beherrscht sie kein Wort Deutsch, denn während wir noch zehn Minuten gemeinsame Fahrt teilen, lächelt sie mich zwar wiederholt an, sagt aber kein Wort. Das ist das wahrhaftige Türkisch für Anfänger. 

Ich habe die TV-Serie auf der dieser Film basiert, niemals gesehen. Somit repräsentiere ich den Zuschauer, für den Türkisch für Anfänger kein Wiedersehen mit liebgewonnenen Charakteren, sondern ein Kinofilm ist, der für sich alleine stehen muss. Da sich Regisseur und Drehbuchautor Bora Dagtekin dafür entschieden hat, die Geschichte noch einmal ganz neu aufzurollen, zu „rebooten“ wie man heutzutage sagt, ist kein Vorwissen über die Figuren von Nöten, um der Geschichte zu folgen. Lena (Josefine Preuß) und ihre Mutter Doris (Anna Stieblich) unternehmen eine gemeinsame Reise nach Thailand. Schon auf dem Weg zum Flughafen begegnen sie dem türkischen Familienvater Metin (Adnan Maral), seinem Sohn Cem (Elyas M’Barek) und der Tochter Yagmur (Pegah Ferydoni). Das Aufeinandertreffen der beiden Familien ist nicht von Sympathie geprägt und so ist es insbesondere für Lena ein Alptraum, dass sie nach dem Absturz des gemeinsamen Fliegers ausgerechnet mit Cem und Yagmur auf einer einsamen Insel landet. Während sich Doris und Metin nach ihrer Rettung in einem Hotel näher kommen, müssen ihre Kinder gemeinsam mit dem Griechen Costa (Arnel Taci) zahlreiche Abenteuer überstehen, zu denen auch ein Aufeinandertreffen mit einheimischen Kannibalen gehört. 

Bora Dagtekin hat die Figuren schon während ihrer TV-Karriere als Autor begleitet und seine Vertrautheit mit ihren Eigenheiten ist spürbar. Auch wenn Türkisch für Anfänger im Grunde eine leichtfüßige, zuweilen gar platte Slapstick-Komödie ist, überzeugen die Charaktere auf ganzer Linie. Insbesondere Doris, die sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln gegen das Älterwerden sträubt und gerne mit ihrer Tochter auf Lady Gaga Konzerte geht, hat trotz all der Übertreibungen einen realistischen Kern, der sie für den Zuschauer sympathisch macht. Und so verhält es sich mit dem gesamten Ensemble, auch wenn die exzentrisch dargestellte Lena definitiv das Potential zur Nervensäge hat. Hier wird ganz klar mit Stereotypen gearbeitet, doch zumindest geschieht das so gekonnt, dass wir uns als Zuschauer dabei amüsieren und nicht gelangweilt mit den Augen rollen. Allein, dass Elyas M’Barek nach What a Man und Offroad nun im Grunde schon wieder dieselbe Rolle spielt, ist etwas eintönig. 

Ich habe mir aber nach dem Film die Frage gestellt, ob es hier wirklich eine Rolle spielt, dass es sich um eine türkische Familie handelt, oder ob ein Großteil der Spannungen und Konflikte nicht einfach nur der Tatsache entspringen, dass hier zwei unterschiedliche Familienmodelle aufeinandertreffen. Mich persönlich, die ich ja selbst im Integrationsbereich tätig bin, überzeugt diese angebliche Multi-Kulti-Darstellung nicht. Dagtekin hat nach eigener Aussage bewusst eine stark komödiantische Herangehensweise an das Integrationsthema gewählt, um einmal mit Humor zu betrachten, was sonst nur Stoff für Melodramen liefere. Das Lachen jedoch erschafft in meinen Augen eine große Distanz zwischen uns und den Protagonisten, so dass das Thema Integration nicht mit Humor beleuchtet wird, sondern vollkommen in den Hintergrund tritt. 

Doch diese kritische Herangehensweise ist definitiv die Falsche für einen Film wie Türkisch für Anfänger, der sein Publikum in erster Linie unterhalten will. Das Wälzen gesellschaftlicher Probleme oder die Glaubwürdigkeit der Ereignisse spielen innerhalb dieses Konzeptes eine untergeordnete Rolle. Und das ist in meinen Augen auch vollkommen in Ordnung. Letzten Endes ist Komik natürlich Geschmackssache und es gehört eine gewisse Offenheit für vulgäre und politisch unkorrekte Anspielungen dazu, um bei Türkisch für Anfänger herzhaft lachen zu können. Der aufmerksame Zuschauer wird aber hinter all den platten Witzeleien auch die eine oder andere kritische Spitze entdecken, z.B. meine absolute Lieblingsformulierung „drei Migranten mit einem deutschen Pass“. 

Für Fans der Serie ist die Kinoversion, die mit dem Cinemascope-Format und dem vor Ort Dreh in Thailand durchaus cineastisch daherkommt, sicher ein Fest. Für Zuschauer wie mich, die mit dem Film nicht mehr verbinden als maximal die eigene Lebensrealität im Berliner Wedding, ist Türkisch für Anfänger eine unterhaltsame, aber recht durchschnittliche Komödie. 




Übrigens: Gemeinsam mit MyVideo ruft Constantin Film zu einem Rap-Kontext auf, bei dem es darum geht, sich eine neue Strophe zu Cems angeblichem Nummer 1 Hit "Nutten am Pool" einfallen zu lassen. Das dazugehörige Musikstück und weitere Infos findet ihr hier.



Montag, 5. März 2012

Russendisko


© Paramount Picture/ Regie: Oliver Ziegenbalg
Zwölf Jahre nach dem Erscheinen von Wladimir Kaminers Erzählband Russendisko, hat Oliver Ziegenbalg die kurzen Episoden aus dem Berliner Leben der 90er Jahre in einen Kinofilm übersetzt. Er berichtet von den drei jungen Russen Wladimir (Matthias Schweighöfer), Mischa (Friedrich Mücke) und Andrej (Christian Friedel), die kurz nach der Wende als russische Juden Asyl in Ost-Berlin erhalten. Mit dem Verkauf von Dosenbier finanzieren sie sich ihr bodenständiges Leben zwischen Asylantenwohnheim und der blühenden Ost-Berliner Künstlerszene. Während Andrej sich mit melancholischer Schwermut und Heimweh plagt, strebt Mischa eine Musikerkarriere an und der ewig optimistische Wladimir verliebt sich unsterblich in die Tänzerin Olga (Peri Baumeister). Doch als alles perfekt scheint, droht Mischa die Ausweisung und die Freundschaft des Dreiergespanns wird auf eine harte Probe gestellt.  

Russendisko ist mehr ein Liebesfilm als eine Komödie,  in dessen Mittelpunkt die Geschichte von Wladimir und Olga steht. Geradezu märchenhaft wird das Kennenlernen der beiden inszeniert, eine Animationssequenz erzählt uns von Olgas Kindheit im fernen Russland. Auch die Darstellung der Stadt Berlin ist in ihrer Farbenpracht eher magisch als authentisch. Zwar finden sich auf dem U-Bahnhof, in dem Andrej sein Dosenbier vertreibt, die klassischen Berliner Typen, doch wirkt die Stadt insgesamt eher wie eine Disney-Version ihrer selbst. Statt der grau-braunen Überreste der DDR-Vergangenheit erstrahlen die Straßen hier in bunten Regenbogenfarben. Die Betonung liegt ganz klar eher auf der kreativen Aufbruchsstimmung der neuen Hauptstadt als auf der authentischen Darstellung des Nach-Wende-Berlins. 

Ähnlich verhält es sich mit den drei zentralen Figuren: Wladimir, Mischa und Andrej sprechen akzentfrei Deutsch und auch ihre Kleidung will nicht so recht zu der Tatsache passen, dass sie in der Sowjet-Union der frühen 90er erstanden wurde. Dass sie vielmehr wie drei ganz normale Jungs wirken, wie sie noch heute durch gewisse Ecken der Hauptstadt laufen – vielleicht ein bisschen retro, aber das ist ja jetzt schick - bringt ihnen zwar Sympathiepunkte, geht aber auf Kosten der Authentizität. Matthias Schweighöfer glänzt einmal mehr mit seinem Bubencharme, ähnelt in seiner Darstellung aber zu sehr den Figuren seiner letzten Filme, als dass wir auf der Leinwand irgendjemand anderen sehen könnten als eben Matthias Schweighöfer. 

Da die zentrale Figur den Namen des Romanautors Wladimir Kaminer trägt, entsteht der Eindruck, es handle sich hier um eine Art biographische Entstehungsgeschichte der Veranstaltungsreihe unter dem Namen „Russendisko“. Die fehlende Authentizität und die märchenhafte Inszenierung bilden damit jedoch einen beißenden Widerspruch, der den Zuschauer zunächst irritiert. Russendisko ist kein Bio-Pic, sondern eine Art Großstadtmärchen, das weder die Figur Wladimir Kaminer, noch den Schauplatz Berlin realistisch abbilden, sondern das Publikum mit seiner märchenhaften Atmosphäre und der rührenden Liebesgeschichten in seinen Bann ziehen möchte. 

Partiell kann der Funke überspringen und den romantischen Zauber transportieren. Insgesamt aber verbleiben die Charaktere zu eindimensional. Wladimirs unsterblicher Optimismus und seine Lebensfreude, der auch die größten Tiefschläge nichts anhaben können, bilden zu wenig Anlass, um sein Schicksal zu bangen. So bleibt Russendisko trotz seiner offensichtlichen Bemühungen, uns mit Hilfe des Settings und der Musik zu verzaubern, ein seichter Unterhaltungsfilm, der leider nicht mal besonders komisch ist. Die besten Gags wurden – wie so oft – bereits im Trailer zusammengefasst und somit vorweggenommen.