Donnerstag, 14. Februar 2013

Harmony Lessons


© Harmony Lessons Film Production

Was ich absolut nicht vertragen kann, ist, wenn in einem Film Tiere gequält werden. Außerdem habe ich ein wirklich gravierendes Problem, anderen Leuten beim Kotzen zuzusehen. Insofern war Harmony Lessons nicht unbedingt der optimale Start in den Berlinale-Tag. Umso erstaunlicher, dass mir der Film trotzdem gut gefallen hat.

Wenn ich nach dieser Einleitung von „schönen“ Bildern spreche, ist das natürlich verwirrend. Aber selbstverständlich geht es in Harmony Lessons noch um Einiges mehr als nur Tierquälerei und Erbrochenes. Regisseur Emir Baigazin erzählt die Geschichte des ca. 14 jährigen Mobbingopfers Aslan (Timur Aidarbekov). Nachdem er vom Gangoberhaupt Bolat (Aslan Anarbayev) als Persona Non Grata erklärt wird, richtet Aslan seine Aufmerksamkeit verstärkt nach innen. Seine intensive Beschäftigung mit der eigenen Gesundheit und Hygiene nimmt geradezu zwanghafte Formen an. Als er erfährt, dass Kakerlaken Krankheitserreger übertragen, beginnt er Folter- und Tötungsmethoden für die Insekten zu entwickeln. Schon hier merken wir, dass der Junge eine tickende Zeitbombe ist, die sich ihre Aggressionen sorgfältig für den großen Gegenschlag aufspart.

Anders als der Titel vermuten ließe, geht es in Harmony Lessons vor allem um Gewalt. Bolat terrorisiert Aslan und seine Mitschüler, ist im Grunde aber selbst nur das Glied einer längeren Kette von Aggression. Wie sich im späteren Verlauf zeigt, sind die Erwachsenen in dieser Hinsicht keinen Deut besser. Harmony Lessons ist wahrlich kein „easy viewing“. Mehr als einmal musste ich wegschauen. Zum Beispiel wenn Aslan, der in der kasachischen Einöde unter einfachsten Bedingungen lebt, vor laufender Kamera ein Schaf schlachtet, ihm die Haut abzieht, die Eingeweide herausnimmt, dabei ein Embryo entdeckt und diesem ebenfalls die Kehle durchschneidet. Zu Beginn habe ich mich gefragt, warum uns Emir Baigazin mit diesen unnötig expliziten Bildern quält. Doch im Grunde sind sie die konsequente Einleitung eines Films, dessen permanente Gewalt uns einfach nur anekelt. Nicht weil wie in einem Actionfilm das Blut spritzt und Leute sich am laufenden Band die Köpfe einschlagen. Doch der Psychoterror, den Bolat durch seine Herrschaft ausübt, ist derart grausam, dass es in der Pressevorführung einen spontanen Szenenapplaus gab, als der Gangleader endlich selbst eine verpasst bekam. Aber nicht nur Bolat, auch Aslan ist nicht unbedingt das, was man einen Sympathieträge nennt. Dass er für die Kakerlaken einen elektrischen Stuhl bastelt, auf dem er sie dann für das Stehlen von Nahrung bestraft, ist schon ziemlich unheimlich, um nicht zu sagen abstoßend.

Trotz meiner Begeisterung für die Inszenierung, die Art und Weise wie Emir Baigazin die Innenwelt seines Protagonisten durch Bildkompositionen veranschaulicht, und die packende Story, habe ich mich nach dem Film ein wenig nach dem „Warum“ gefragt. Mobbing, bzw. Bullying, wie es heute auch genannt wird, ist durchaus ein beliebtes und auch wichtiges Thema. Doch war mir der inhaltliche Mehrwert dieser kasachischen Variante nicht ganz klar. Wenn ich den Film also weiterempfehle, dann mehr wegen seiner Machart, weniger auf Grund seiner Geschichte und definitiv nicht auf Grund seiner expliziten Darstellung von Folter und Magenentleerungen. 

Außerdem sei Harmony Lessons jedem ans Herz gelegt, der schon immer einmal ein kasachisches Martial-Arts-Schaf sehen wollte. Und da reichen dann auch die ersten 60 Sekunden! 


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